Zwei Eichsfelder wagen Neubeginn in SOS Kinderdorf

"Ich weiß nichts Besseres, als einem Kind zu helfen", hat einst Hermann Gmeiner, der Gründer der SOS-Kinderdörfer, gesagt. Und auch Jörg-Olaf und Eva-Maria Lamprecht aus dem eichsfeldischen Uder fällt keine andere oder bessere Begründung für ihr eigenes Wirken ein. 

 Eva-Maria und Jörg-Olaf Lamprecht aus Uder im Eichsfeld begannen noch einmal von vorn im SOS Kinderdorf am bayerischen Ammersee. Jörg-Olaf Lamprecht ist einer von nur drei Kinderdorf-Vätern in Deutschland. Foto: Silvana Tismer 

Uder/Ammersee. Seit knapp zwei Jahren ist das Ehepaar im SOS-Kinderdorf in Dießen am Ammersee zu Hause. "Wir haben zwei Zuhause", sagt Eva-Maria Lamprecht. "Dießen und Uder." 

Regelmäßig alle drei Wochen und im Urlaub nehmen sie die Fahrt aus Bayern nach Nordthüringen unter die Räder ihres Erdgasautos. Knapp eine Woche verbringen sie dort, ehe sie wieder in ihr zweites Zuhause reisen. In Dießen warten sechs Kinder auf sie, die rund um die Uhr im Haus im SOS-Kinderdorf betreut sein wollen. 

Jörg-Olaf Lamprecht ist einer von seinem Wissen nach nur drei SOS-Kinderdorf-Vätern in ganz Deutschland. Zu Beginn der SOS-Kinderdörfer und nach den Vorstellungen des Gründervaters waren in jedem Haus eine Kinderdorfmutter und neun Kinder. 

Inzwischen aber hat sich da einiges verändert und auch Männer sind sehr gefragt, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Nur wenige und ausgewählte Frauen und Männer sind bereit und in der Lage, diese entbehrungsreiche und aufopferungsvolle Tätigkeit zu übernehmen. 

Der Trend geht mittlerweile dahin, dass immer mehr Paare in den SOS-Kinderdörfern Kindern eine Familie geben. Für Jörg-Olaf Lamprecht eigentlich nur verständlich, denn so haben die Kinder, die in ihrem jungen Leben oft viel Leid ertragen haben, teils traumatisiert sind, Ansprechpartner beiderlei Geschlechts, Personen, denen sie Probleme vorbehaltlos anvertrauen können. 

"So wie es in einer Familie auch sein sollte" sagt Eva-Maria Lamprecht, die zusammen mit ihrem Mann noch einmal einen Neuanfang gewagt und sich entschieden hat, erneut Kinder großzuziehen wie ihre längst erwachsenen eigenen. SOS-Kinderdorfmütter ohne Partner bekommen dann oft männliche Unterstützung im Team, von Beruf Erzieher oder Sozialpädagogen. 

Freiheit genutzt

Als 1989 die Mauer fiel, hatte der heute 53-jährige Jörg-Olaf Lamprecht eigentlich die Idee, in Uder ein SOS-Kinderdorf zu gründen und nahm das erste Mal mit der Organisation Kontakt auf. Aus dem Plan wurde nichts, doch die Lamprechts beschäftigten sich im Lauf der Zeit immer mehr mit den Grundsätzen Hermann Gmeiners und der SOS-Kinderdörfer. 

Als staatlich anerkannter Erzieher arbeitete der Wahl-Eichsfelder in verschiedenen Kinderheimen. Aber ihm missfiel, dass er nach der Uhr für die Kinder da sein sollte. "Mir hat es einmal so wehgetan, als ein Kind mich nach Dienstschluss ansprach, ob ich Zeit hätte - doch es war Schichtwechsel und die Kollegin musste übernehmen. Ich habe mir den ganzen Abend und die ganze Woche darauf - ich hatte Urlaub - den Kopf zerbrochen, was es für eine Frage oder Problem gewesen sein könnte. Ich hatte richtige Gewissensbisse." 

Die eigenen Söhne waren bereits erwachsen, und im Eigenheim war genügend Platz - und so beschloss er mit seiner Frau ein Kleinstheim unter der Trägerschaft und Obhut des St. Elisabeth Vereines Marburg e.V. zu gründen. Dort spezialisierte er sich auf "Kinder, die keiner mehr will", wie er frei erzählt. 

So nahm er Kinder bei sich auf und leistete sozialpädagogische Einzelbetreuung. Er, der nicht nur die Ausbildung als staatlich anerkannter Erzieher, sondern auch zahlreiche Zusatzqualifikationen wie psychologischer Supervisor, Psychotherapeut HP (Heilpraktiker) besitzt, hält es bis heute für eine glückliche Fügung, dass die letzten Kinder Brüder waren, aber davon nichts wussten und sich bei ihm erst kennen lernten. 

"Es gibt nichts vergleichbar Schlimmeres, als wenn Kinder falsch beschult werden." Viel habe er mit den Kindern erreichen können, aber ohne das Förderzentrum Heiligenstadt und Wülfingerode und im Besonderen die Tabaluga-Förderschule Worbis und die Unterstützung des SPZ Reifenstein wäre dies nicht machbar gewesen. "Beide kamen als nicht mehr beschulbar zu uns", sagt Jörg-Olaf Lamprecht, "und heute können sie lesen und schreiben." Das ist der Lohn der geleisteten Arbeit aller Beteiligten. 

Im Mai 2011 entschloss er sich, eine Bewerbung bei der SOS-Kinderdorf-Organisation einzureichen. "Wir haben gründlich überlegt, das Für und Wider abgewogen und mit unseren Söhnen und Freunden beraten. In einem Alter, in dem andere schon an die Rente denken, haben wir noch einmal einen Neuanfang gewagt" sagt die 54- jährige Eva-Maria Lamprecht. 

Bei der Entscheidung half, dass Sohn Veit - ebenfalls Erzieher von Beruf - wieder nach Uder zog und sich um das Anwesen kümmern konnte. "Wir waren frei", und seine Arbeits- und Lebenserfahrung tat ihr Übriges: Im August folgte das erste Vorstellungsgespräch und im September das zweite. Doch machten die Lamprechts ihren Entschluss auch von der Entscheidung abhängig, dass beide Kinder, die sie betreuten, mitdürften. "Wir hätten es moralisch nicht fertig gebracht, sie zurück zu lassen." 

Und am 1."Februar 2012 zogen sie dann nach Dießen am Ammersee in das älteste SOS-Kinderdorf in Deutschland, das 1958 gegründet wurde. "Es war schon aufregend, sonst ziehen ja oft die Kinder von zu Hause fort - bei uns war es umgekehrt", sagt Jörg-Olaf Lamprecht. "Von unserem Esszimmer schauen wir aufs Kloster Andechs und vom Küchenfenster auf die Zugspitze. Früher haben wir dort oft Urlaub gemacht." Die bayerische Gemeinde und das SOS-Kinderdorf waren das Wunschziel gewesen. "In der Mentalität nehmen sich Eichsfelder und Bayern uns nicht viel", lächelt das Ehepaar. 

Richtige Familie

Zu den beiden Kindern kamen dann vier weitere hinzu, jetzt sind es vier Buben und zwei Mädels, die mit Eva-Maria und Jörg-Olaf Lamprecht in einem der zehn Einfamilienhäusern leben, zur Schule gehen, die jeweils anderen fünf Kinder ihre Geschwister nennen. Täglich ernten die beiden die Früchte ihrer Arbeit, wenn sie sehen, wie ihre sechs Kinder, die teils schwer traumatisiert sind und schon viele Beziehungsabbrüche hinter sich haben und unter ADHS leiden, auf ihrem Weg vorankommen. 

Sie lernen Geborgenheit und Zuverlässigkeit kennen, entwickeln soziale Kompetenzen, erfahren vielleicht das erste Mal in ihrem Leben, was es heißt, in einer Familie groß zu werden, so dass sie vielleicht später in der Lage sind, selbst eine Familie zu gründen und Kinder großzuziehen. 

Doch ein Kinderdorfvater hat noch mehr Aufgaben. Er kümmert sich nicht nur um die Erziehung, sondern auch um die psychologische Betreuung, hält Kontakte mit den Behörden, Ärzten, er ist Bindeglied und Teamleiter. Einen ganz wichtigen Teil aber nimmt die Arbeit mit den Herkunftsfamilien ein, also der Kontakt zu den leiblichen Eltern der Kinder. 

Dazu gehört von beiden Seiten eine Menge Fingerspitzengefühl. Jörg-Olaf Lamprecht bezeichnet seine Arbeit auch als "familien-integrative Heimarbeit", denn auch SOS-Kinderdorf unterliegt den Gesetzen der Bundesre¬publik. "In der Regel bleiben die Kinder bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres bei uns, aber auch da gibt es Ausnahmen. Rein rechnerisch ist es so, dass, wenn der Jüngste das Haus verlässt, wir in Rente gehen können und dann auch wieder ins Eichsfeld zurückehren wollen." 

Doch sie legen viel Wert als katholische und eng mit der Kirche verbundene Familie, dass ihre Kinder auch die christlichen Werte kennen- und schätzen lernen, begleiten sie auf Wunsch zur Taufe, Erstkommunion und Firmung, sind selbst Paten der Kinder. Weihnachten werden sie in der Hermann-Gmeiner-Berghütte bei Berchtesgaden mit den sechs Kindern und ehrenamtlichen Mitarbeitern verbringen, das ist den Beiden sehr wichtig. Da müssen die leiblichen Kinder zurückstecken, "auch wenn in dieser Zeit das erste Enkelchen auf die Welt kommt. Das holen wir dann Silvester alles nach". 

Und ihr Ehemann erwähnt, dass die Besatzung der Marinefregatte "Bayern" Pate für ihr Dorf ist und die Kinder besucht oder nach Kiel einlädt, um den Kindern schöne Ferientage zu ermöglichen. "Wir, SOS-Kinderdorf, sind auf Spenden und Patenschaften angewiesen und verweisen bei Interesse auf die Homepage. Wir bedanken uns bei den Spendern für die Kutschfahrt durch Mecklenburg in diesem Jahr, es war für alle ein tolles Erlebnis". 

Ein Stück Heimat aber haben die Lamprechts mit in die "Fremde" genommen: die TLZ. Sie kommt zwar immer erst einen Tag später, wird aber täglich sehnlichst erwartet und penibel gelesen - vor allem der Lokalteil.


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